Herr Mustermann, Sie haben einen Körper, ohne den Sie nicht denken können. Wissen Sie, wo er ist?

Thordis Treiber, 2024

Manchmal ist es wichtig, einfach mal die Klappe zu halten! (Verzeihen Sie die Direktheit! Wir sind Berliner, da geht es ab und zu mit uns durch…) Insbesondere dann, wenn der Anspruch an Höchstleistung verinnerlicht und aus tiefster Überzeugung gelebt wird. Wenn die Organisation immer hungriger wird nach quantitativer Performance, aber eigentlich qualitative Performance braucht. Wenn Automatismen ein Erkennen der wahren Zusammenhänge aushebeln. Dann ist es wichtig, sich nicht nur als souveränen Verstand in einer körperlichen Hülle zu begreifen. Nicht nur als kompetenten Trouble Shooter in einem vergänglichen Organismus. Sondern es wird entscheidend, die Aufklärung weiterzudrehen und den Mut zu haben, sich seiner eigenen Körperlichkeit zu bedienen. Denn machen wir uns nichts vor! Wenn unsere fehleranfälligen Analyseleistungen mit ihrer begrenzten Kapazität nicht mehr wettbewerbsfähig (oder relevant?) sind für regelbasierte Informationsverarbeitung, dann müssen wir uns auf etwas anderes zurückbesinnen, das das Diktat des Musters durchbricht und zugleich den Wert der externen künstlichen Analyse ergänzt. Und dieses “andere” sind unsere Wahrnehmung von impliziten Zusammenhängen und Verbindungen, und unsere intuitive Interpretation dieser Wahrnehmungsinhalte in kohärente Bedeutung. Und Sie erraten es bereits: Diese Wahrnehmung und Interpretation von Verbindung und Bedeutung geht weniger mit unserem logisch-analytischen Problemlösungsvermögen einher als vielmehr mit unserer körpergebundenen Sinnlichkeit, mit unserer körperlichen Resonanzfähigkeit, unserer Biologie.

Aber wie bedienen wir uns unserer Körperlichkeit, wenn wir ihr nur geringe Aufmerksamkeit zukommen lassen? Wenn wir in unserer allzu engen operativen Geschäftigkeit, in unserer quantitativen Performance, den komfortablen Umstand nutzen, dass das vegetative Nervensystem voll autonom unsere wichtigsten Lebensfunktionen steuert, ohne dass wir uns bewusst darum kümmern müssten? Wenn unsere Wahrnehmung rudimentär von selbst läuft? Dann sehen wir ohne zu beobachten, tasten ohne zu berühren, fühlen ohne zu spüren. Wissen wir überhaupt, wie wir unsere Körperlichkeit einsetzen können, um komplementär zur künstlichen Intelligenz echten Wert zu stiften durch Biologie? Und wissen Sie denn, wie Sie Ihre Wahrnehmung bewusst nutzen und verfeinern? Wie Sie Ihren Geist sensibel halten für bedeutsame Wahrnehmungsinhalte, ohne die Sie zu keiner herausragenden qualitativen Performance gelangen? Und darum geht es Ihnen und uns doch, richtig!?

Lassen Sie uns deshalb nochmal zurückkommen zu unserer leidenschaftlichen Aufforderung, gelegentlich die Klappe zu halten! Warum eigentlich? Die Antwort ist simpel: Ruhe und Stille aktivieren einen anderen Arbeitsmodus des Gehirns. Eine nach innen gerichtete Hirnaktivität, die nur in Abwesenheit von äußeren Anforderungen und konkreten Aufgaben ein reizunabhängiges Denken in Gang setzt. Wir mäandern durch Erinnerungen vergangener Erfahrungen, durch Tagträume und durch potenzielle Zukünfte. Und wir wandern durch die mentalen Zustände unserer Mitmenschen, verbinden uns mental mit ihnen und prozessieren Sprache. Durch diese „Hinwendung“ des Gehirns zum Inneren, oder wissenschaftlich: durch diese Aktivität des Default Mode Networks, das erstmals 2001 durch den Hirnforscher Marcus Raichle entdeckt und beschrieben wurde, sind wir auf uns selbst zurückgeworfen. Wir konstruieren Narrative von uns selbst. Wir konstruieren Identität – kohärent und verbunden mit anderen. Und in diesem Konstruieren entdecken und erschaffen wir Zusammenhänge und Bedeutung, die uns als kreative Funken wichtige Impulse geben für unsere Welt des logisch-analytischen Denkens, in der wir uns auf äußere Reize fokussieren, um konzentriert Probleme zu lösen. Sie kennen das: Meist kommt der entscheidende Geistesblitz, wenn Sie das zu lösende Problem einfach mal loslassen. Wenn Sie duschen, entspannt Ihren Hund ausführen, oder sich in Ihrer Mittagspause einfach mal mit einem Kaffee allein auf eine Parkbank setzen, anstatt mit Kollegen in die volle Kantine zu gehen oder sich von der digitalen Parallelwelt bespielen zu lassen.

Probieren Sie es aus! Nach einer Weile der Stille und körperlichen Selbstwahrnehmung werden Sie den Entscheidungen begegnen, die Sie schon lange getroffen haben, bevor Sie das rationale Grübeln anfangen. Nonverbal, auf Basis einer kohärenten inneren Erzählung und Konstruktion von Bedeutung, auf Basis von Wahrnehmung, Verknüpfung und Interpretationsleistung Ihres Default Mode Network. Verwechseln Sie deshalb also bitte nicht Ruhe und Stille mit Unproduktivität oder Stillstand! Das Gegenteil ist der Fall. Hier liegt Ihr Schlüssel zu qualitativer Performance.

Die Schwierigkeit besteht nun also darin eine alltagstaugliche und effektive Balance herzustellen zwischen reizabhängigem Analysedenken und reizunabhängigem Ruhezustandsdenken. Und glauben Sie uns. Wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass Sie vor allem nach operativer Arbeitszeit und Ihrem Verantwortungsgrad für „operationalisierbare“ Lösungen bezahlt werden. Aber vielleicht liegt gerade hier, in Ihrer Verantwortung für Funktionalität, ein wichtiger Hebel. Denn hier bringen wir den Körper mit ins Spiel, seine Funktionalität, seine Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeit. Genauer: Wir bringen ihn in Bewegung. Und nicht nur Ihren Körper, sondern auch die Körper Ihrer Teammitglieder für einen neuen Ansatz der Teamentwicklung. Denn wir fragen: Warum ist körperliche Bewegung eigentlich nur eine private Freizeitangelegenheit und nicht Teil eines ganzheitlichen – und ja, performance-orientierten – Arbeitsansatzes? Warum nutzen wir sie nicht ausreichend, um eine Form der Zusammenarbeit zu finden, in der unsere Wahrnehmungssensibilität erhöht wird, in der wir in Synergien schneller zu sinnvollen und bedeutsamen Ergebnissen kommen, in der stets die bestmögliche Qualität angestrebt wird und wir Energie aus unserem Arbeitsalltag ziehen? In der wir eine ganzheitliche Körper-Geist-Einheit sind? Eine gute Nachricht: Wir arbeiten daran, dies für Sie zu bewerkstelligen. Machen Sie mit!

Hören wir dafür zuerst auf, von diesem Missverständnis einer Work-Life-Balance zu schwafeln! Als wären Arbeit und Leben zwei kontrastreiche Gegensätze, die nur in Abwesenheit des anderen umsetzbar wären. Leben wir nicht, wenn wir arbeiten? Und arbeiten wir nicht, wenn wir leben? You see?! Non-sense. Bullshit.

Integrieren wir stattdessen unsere Körperlichkeit in unsere Arbeit, indem wir einen Kreislauf nutzen, den auch die antike Medizin erfreut hätte: gemeinsame körperliche Bewegung im Team, gefolgt von kurzen Momenten der Ruhe, gefolgt von konzentrierten Phasen von Reflexion, Problemlösung und Gestaltung in synergetischer Zusammenarbeit, gefolgt von gemeinsamer körperlicher Bewegung, usw. You get the idea! As simple as it is. Die Bewegung erhöht Ihre Hirnaktivität. Ihre Sinneswahrnehmungen und Resonanzfähigkeit werden sensibler. Sie werden rezeptiver für relevante Wahrnehmungsinhalte, die Sie dank Ihres Default Mode Network zu kohärenten Zusammenhängen verbinden und Bedeutung ableiten. Sie werden kreativer in Problemlösungsprozessen und strategischen Neukonzeptionen und stärken Verbundenheit und multiperspektivische Intelligenz in Ihrem Team. Was haben Sie dann? Genau: qualitative Performance. Voilà!

Kurz gesagt: Wir brechen eine Lanze für qualitative Performance und denken Teamentwicklung neu. Wir wollen mehr Aufklärung. Mehr Körperlichkeit. Mehr Komplementarität von menschlicher und künstlicher Intelligenz. Wollen Sie das auch? Dann lassen Sie uns darüber reden.

Lektüreempfehlung:

Nora Bradford, 2024. “What Your Brain Is Doing When You’re Not Doing Anything” (Link)